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Category: Story

Unvergessliche Tage in Afrika – Florian Warum

Von möglichen Komplikationen abgesehen, ist eine Geburt in unserer scheinbar zivilisierten Welt keine allzu große Angelegenheit. Bestens darauf vorbereitet wird in hygienischen, modernsten Kreißsälen entbunden. Für Frauen aus dem County Narok in Kenya ist es eine abenteuerliche Challenge. Entweder aufgrund des stundenlangen Transports mit der Ambulanz oder wegen des Fußmarsches ins Krankenhaus. Für uns nahezu Unvorstellbares sehen die Frauen der Loita Maasai nahezu schmerzbefreit.

 

„Die Straße ist gut“ befand Fahrer Fred während der Anreise nach Entasekera. Wenig verwunderlich, er ist Fahrten wie diese ja gewöhnt. Ganze drei Stunden lang wurde ich zusammen mit drei anderen in der Ambulanz sitzend kräftig durchgeschüttelt. Auf offenbar nicht enden wollenden 120 Kilometern. Für uns alle war schon ein Schluck aus der Wasserflasche eine Herausforderung. Wenn Hyänen den Weg kreuzen, ein Gepard sich langsam an seine Beute heranpirscht oder Giraffen elegant zum wohlschmeckenden Grün der stacheligen Akazien stolzieren, … dann mag das eine Fotosafari im weitläufigen Nationalpark „Maasai Mara“ an der Grenze zur Serengeti noch einmal spektakulärer und unvergesslicher machen. Doch nicht nur dann ist irgendwann Schluss mit lustig. Echt.

Wir jammern auf extrem hohem Niveau

Und nun stelle man sich eine schwangere Frau am Weg ins Krankenhaus vor. Auf einen Notkaiserschnitt hoffend und ohne Garantie darauf, das Kind gesund zur Welt zu bringen. An meiner Stelle ist sie dann in so einem Ambulanzfahrzeug unterwegs. Für mich ist es eine einmalige Erfahrung, für Menschen aus der Region Loita Hills Normalität. Denn die „Straße“ ist in Wahrheit nicht viel mehr als ein wahnsinnig schlechter Karrenweg. Doch besser im Krankenwagen schlecht gefahren zu werden, als den Weg ins Krankenhaus zu Fuß machen zu müssen.

„Für die Geburt ihres Kindes ist diese Frau 23 km weit zu Fuß gegangen“, erklärt mir Dr. Isayah Mootian bei der Visite im Krankenhaus Entasekera. Die Schuhe dürfte sie ausgezogen haben, denn ihre Füße sehen dementsprechend aus. In der Nacht wurde das Baby gesund geboren. Von einer der Krankenschwestern. Im gleichen Zimmer liegt die Mutter eines Frühchens. Mit einfachsten Mitteln wie einem Heizstrahler – direkt beim Bett – und einer Wärmeflasche soll das Überleben des Neugeborenen mit 1,07 kg sichergestellt werden. Auch für die an Hepatitis leidende Mutter stehen die Chancen laut Dr. Mootian Gott sei Dank sehr gut. Vergleiche mit Standards in Europa drängen sich zwar auf, sind aber unseriös.

Besitz ist bedeutender als das Leben von Frauen und Kindern

Die Auswirkungen ihrer Arbeit im Krankenhaus von Entasekera auf das Leben der Maasai dürften Maria Schiestl vielleicht gar nicht so bewusst gewesen sein. „Ohne Daktari Maria wäre diese Krankenstation nicht auf dem Niveau von heute“, meint Familienvater Andrew mit einem Kind am Arm. Seine Ehefrau arbeitet im Krankenhaus. Zusammen mit ihr und zwei weiteren Kindern wohnt er direkt in einem der Personalhäuser am Krankenhausgelände. „Ich habe 100 Kühe und 400 Ziegen“, erzählt er stolz. Damit kann er seine Familie sehr gut ernähren. Und er könnte sich sogar eine zweite oder dritte Frau leisten, wie einige andere Maasai es tun. Polygamie ist hier nichts Außergewöhnliches, aber natürlich eine finanzielle Frage. Bei Koch und Nachtwächter Elisha sieht es anders aus. Er hat drei Frauen, 16 Kinder, zwei Kühe und 10 Ziegen. Das kostet richtig viel Geld.

Aber nicht nur mit Geburten hat man im Krankenhaus von Entasekera zu tun, wo schon aufgrund der Seehöhe von 2.100 m
von Betreuung auf höchstem Niveau gesprochen werden kann. Im Vergleich zu europäischen Verhältnissen stehen ärztlicher Leitung und Verwaltung nur bescheidene Mittel zur Verfügung. Umgerechnet 70.000,- Euro beträgt das Jahresbudget. Mit diesen Geldern werden hochwertige Medikamente gekauft und „mobile Kliniken“ finanziert. Patienten und ihre Angehörigen ersparen sich dadurch oft tagelange Märsche ins Krankenhaus, wenn es etwa um Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen oder um Impfungen geht. Die Maasai haben wenig, wirken aber keineswegs unglücklich. Im Gegenteil. Umso größer ist deshalb mein Respekt dafür, dass die Loita Maasai von der Community medizinisch bes-tens versorgt werden. Sehr oft seien auch Verbrennungen zu behandeln, die in den meisten Fällen Kinder betreffen. Auch Verletzungen von jungen Männern, die sich am Weg zum Mann ein Jahr lang weit weg von zuhause beweisen müssen, kommen immer wieder mal vor. „Zu den Mutproben gehört beispielsweise das Jagen eines Löwen. Dabei geht es weniger um das Fleisch, als viel mehr um Prestige. Narben schwerer Verletzungen und nach notwendigen Behandlungen sind wie Trophäen. Kommen sie mit dem eigenen Leben davon, dürften sie sich als künftige Familien-oberhäupter später auch um ihre Familien mit Erfolg kümmern können“, erklärt mir Michael Knauer. Er und Thomas Hundsbichler besuchen als Obleute des Vereins „Sterntaler“ mindestens einmal jährlich das Health & Education Centre, um sich von Fortschritt und Mittelverwendung der gespendeten Gelder zu überzeugen.

Apropos Education: Bis zu 20 Frauen aus einem Umkreis von 140 km bilden sich in Entasekera fast eine ganze Woche lang in „Women Empowerment Workshops“ weiter. Diese finden mehrmals im Jahr statt und behandeln Themen wie Gesundheitsvorsorge, Hygiene, Verhütung oder Beschneidung. Vor Ankunft der Frauen wird eine Ziege geschlachtet und während der Woche wird zusammen gegessen. Gebratenes Ziegenfleisch mit Reis und Ugali (Mais). In dieser Zeit können sie sich gegenseitig austauschen. Für sie ist es fast wie Urlaub. Wie sehr sie das Leben lieben, zeigen sie mit ihren farbenfrohen Gewändern und einer Art von Lächeln auf ihrem Gesicht. Erbaut wurde das Bildungszentrum mit Klassenraum, Küche und Übernachtungsmöglichkeiten von Schuhfabrikant Heinrich Staudinger aus dem Waldviertel.

„Uns geht es darum, das Erbe von Maria fortzusetzen. So wie sie selbst, wollen wir den Menschen ihr Leben hier ein bisschen erleichtern“, erklären mir Michael und Thomas. In enger Abstimmung mit den „Bürgermeistern“ der Loita Community und der Entwicklungshelferin Britta Wulfekammer aus der Nähe von Osnabrück. Sie hat bis Ende November 2019 für Horizont 3000 in den Slums von Nairobi gearbeitet und besucht das Krankenhaus regelmäßig. Im Team bemühen sie sich um den Weiterbestand der Einrichtung. Seit einiger Zeit gehört es der Community. Und obwohl einige Dinge dieses Vorhaben manchmal erschweren: Die Zeichen stehen sehr gut, dass die Regierung von Präsident Kenyata das Krankenhaus übernimmt und im Sinne der passionierten Ärztin aus dem Zillertal fortführt.