Loading Content..

Category: Story

Fliegen, Fliegen, Fliegen

Fast dreieinhalb Monate nach Ausbruch der Unruhen wegen der „gestohlenen Wahlen“ hat Kenya nun seit dem 13. April eine neue Regierung. Kofi Annan hat das schier Unmögliche geschafft, die Kontrahenten an den Verhandlungstisch zu bringen. Am 17. April konnte das neue Kabinett vereidigt werden. Mit Kofi Annan als Ehrengast. Es gibt viel zu tun und wir hoffen und beten, dass es nicht nur beim Lippenbekenntnis bleibt.

Von all diesen Vorkommnissen haben wir in Loita nur wenig mitbekommen. Wir haben nur die indirekten Auswirkungen gespürt, die Teuerungen, die Lebensmittelknappheit, die Absatzschwierigkeiten auf den Viehmärkten und dadurch den Geldmangel unserer Klienten.
Die lange Regenzeit zwischen März und Juni hat heuer bereits im Feber begonnen. Sintflutartige Regenfälle über fünf bis sieben Tage wechseln sich mit heißen, trockenen, windigen Tagen ab. Dadurch trocknen unsere Straßen immer wieder auf und wir sind dadurch nie länger als zwei bis drei Tage von der Außenwelt abgeschnitten. Dieser Verlauf hat uns jedoch eine Fliegenplage ungewöhnlichen Ausmaßes beschert. Tausende, ja Abertausende von Fliegen, Fliegen, Fliegen! Im Krankenhaus haben wir überall die altbewährten Fliegenfänger ausgehängt, um der Plage einigermaßen Herr zu werden.

Hirtenvölker wie die Maasai sind an Fliegen gewöhnt. Fliegen gehören zum Alltag dazu. Wir Europäer können bereits wegen einer einzigen Fliege „heiß“ laufen, doch hier wird kaum Notiz genommen. Diese Unmengen von Fliegen sind nicht nur lästig, sondern auch Krankheitsüberträger und ein Hygieneproblem. Unter anderem übertragen die Fliegen in den Tropen die Augenkrankheit Trachoma, die schließlich zur Erblindung führt. Das Gesundheitsministerium hat zu Beginn des Jahres ein Trachoma Bekämpfungs-Programm gestartet. Wir in Loita waren die Ersten, sozusagen die „Trendsetter“ für die Kampagne. Es ist ein ehrgeiziges Fünfjahresprogramm. Die Menschen sollen nicht nur die Ursachen der Krankheit verstehen lernen, sondern auch wie man sie verhindern und bekämpfen kann. Die Bakterien werden von den Fliegen übertragen, siedeln hinter den Augenlidern, die sich entzünden und schließlich verhärten und nach innen rollen. Dadurch kratzen die Wimpern buchstäblich an den Augen, bis die Hornhaut so „zerkratzt“ ist, dass das Auge erblindet. Frauen und Kinder sind am meisten betroffen. In unserer Gegend ist Trachoma in 70 % der Fälle die Ursache für Erblindung. Der erste Teil der Bekämpfung war die Ausbildung von Freiwilligen, die in den Dörfern über die Erkrankung aufklären und die flächendeckende Verteilung von Antibiotika und Augensalben vornehmen sollten. In den nächsten Jahren sollen in allen Dörfern Latrinen errichtet werden. Auch die Versorgung der Menschen mit sauberem Wasser soll in den nächsten fünf Jahren verbessert werden.

Im Zuge der Medikamentenverteilung bin ich bis in die hintersten Winkel „meines Territoriums“ gekommen. Die Verteilung der Medikamente wurde durch die Freiwilligen vorgenommen, die natürlich beaufsichtigt werden mussten. Und so war ich fast 14 Tage lang jeden Tag unterwegs, bin in viele Häuser und Dörfer gekommen, teilweise zu Fuß, teilweise mit dem Auto, bin im Morast stecken geblieben, habe im Auto übernachtet, als der Allrad ausfiel, bin über Stock und Stein und dichtesten Urwald gegangen. Es waren faszinierende Tage! Ich habe aber auch die Armut der Menschen, die Wasserknappheit, die ungeheure Bescheidenheit der Behausungen gesehen, die gewaltigen Entfernungen zum Krankenhaus hautnah mitbekommen, doch vor allem aber habe ich erneut die Lebensfreude und Zufriedenheit der Menschen erlebt. Und überall Fliegen, Fliegen, Fliegen. Ganze Schwärme von Fliegen in den Gesichtern der Kinder, in den Augenwinkeln und rinnenden Nasen, kein sauberes Wasser, um die Gesichter bzw. wenigstens die Augen zu waschen, Wasser das aus dreckigen Tümpeln geschöpft wird und oft meilenweit hergeholt werden muss. Es waren Tage für mich mit vielen offenen Fragen. Wie nachhaltig wird die Medikamententherapie sein, wenn es am einfachsten Mittel, der Krankheit vorzubeugen und sie zu bekämpfen fehlt, dem Wasser. Sauberes Wasser! Und vor allem, wenn die Hygienevoraussetzungen einfach nicht existent und den Menschen auch nicht bewusst sind. Habt ihr gewusst, mit einem Liter Wasser kann man 30 Gesichter waschen!!! Stephen, einer der Krankenpfleger, hat mich als Übersetzer begleitet.
Am Ostersonntag haben wir die letzten Pillen verteilt. Wir haben 93 % der Bevölkerung erreicht. Ein stolzes Ergebnis, das bislang landesweit unerreicht ist. Doch die Aufklärungskampagne muss weitergehen. Wir sind erst am Anfang eines langen Weges.

Die Zillertaler Zeitung möchte mit Hilfe aller Leserinnen und Leser mit der Aktion „Sterntaler“ Frau Dr. Maria Schiestl unterstützen. Machen Sie mit: 1 Euro = 1 Sterntaler, Spendenkonto Zillertaler Sterntaler, Raiffeisenbank Hippach IBAN AT26 3624 1000 0005 3876, BIC RZTIAT22241.